Mai 2022, Bürgerbegegnung der Städtepartnerschaft Hannover-Rouen, 17.-23. April 2022 in Hannover
Sind städtepartnerschaftliche Bürgerbegegnungen noch zeitgemäß oder mittlerweile etwas aus der Zeit gefallen? Die Begeisterung der 60er Jahre für Austauschbesuche in Partnerstädte scheint inzwischen einer stark touristisch geprägten Reisekultur gewichen zu sein. Welche Bedeutung kommt also heutzutage städtepartnerschaftlichen Begegnungen zu? Und ist diese Tradition in aktualisierter Form wieder im Kommen? Hier ein Erklärungsversuch über die Ziele unserer Initiative Bürgerbegegnungen Hannover-Rouen (IBHR) mit aktuellem Erfahrungsbericht zur Begegnung im April 2022 in Hannover und zu unserem etwas veränderten Format:
Das Motto „Wir verbinden Menschen“ (Zitat des französischen Europapolitikers Jean Monnet, 1888-1979) versteht die IBHR als Leitsatz ihrer Aktivitäten – ebenso wie Handlungsansätze des 2020 geschlossenen Vertrags von Aachen zur deutsch-französischen Zusammenarbeit als Fortsetzung des Élysée-Vertrages von 1963.
Grundlage allen Handels ist die 1966 gegründete Partnerschaft zwischen den Städten Rouen und Hannover. Sie bildet das Fundament unserer Zusammenarbeit mit der dortigen Partnerorganisation Amis du Jumelage Rouen-Hanovre – inzwischen quasi ein historisch gewachsener „Türöffner“ für die gegenseitige Kontaktpflege. In diesem Rahmen können deutsch-französische Begegnungen gedeihen, zumal unseren beiden Organisationen kaum Grenzen für die Ausgestaltung gesetzt sind. Diese spannende Aufgabe übernehmen die hier wie dort agierenden Teams im gegenseitigen Einvernehmen.
Was ist neu ? Nach zwei langen „Warte-Jahren“ wegen der Pandemie, die keine jährlichen Reisen in unserem üblichen Format zuließen, wollten wir für den Besuch unserer französischen Gäste Vorkehrungen treffen, die einem erneuten Pandemie-Modus noch standhalten könnten. Somit entstand zwangsläufig ein verändertes Programmformat, worüber wir uns unabhängig davon schon längere Zeit Gedanken gemacht hatten. Gemeint ist die Abkehr von einigen Gepflogenheiten, wie z.B. in großen Gruppen (ca. 40 Personen) per Bus Ausflugstouren mit touristischen Arrangements quasi als „Fertigmenü“ mit starrem Programm zu unternehmen. Unser Planungsansatz geht hin zu einer breiteren, aktiven Beteiligung möglichst vieler Teilnehmer*innen für die Ausgestaltung flexibler, kleinformatiger Angebote.
Ebenso sollten Privatquartiere wieder ins Spiel gebracht werden, um den Gästen Einblicke in die Lebensweise ihrer Gastgeber*innen zu ermöglichen. Grundsätzlich sollten mehr individuelle Begegnungen untereinander ermöglicht werden wie auch mehr frei verfügbare Zeit für die Gäste. Für das IBHR-Team sollte bei Arrangements und Buchungen die Möglichkeit bestehen, das Programm kurzfristig umzugestalten, wenn es die Situation erfordert, ohne finanzielle Risiken einzugehen. Nun hatten wir also allen Grund, unsere Ideen zu erproben – ein Wagnis!
Schwierig schien zunächst, in unserem begrenzten Kreis für 19 Gäste aus Rouen private Quartiere zu finden. Aber wie von Zauberhand hat sich alles schnell arrangieren lassen. Gut, dass es dicht verzweigte Netzwerke gibt! Auch unerwartete Sonderwünsche wie z.B. die Unterbringung von Mutter und Tochter (12) in separaten Familien ließen sich erfüllen – denn die Tochter sollte möglichst in einer Familie mit einem gleichaltrigem Mädchen ihre Deutschkenntnisse erproben, eigene Eindrücke gewinnen und vielleicht am Schulbesuch teilnehmen. Eine andere Konstellation mit Großmutter-Mutter-Tochter war auch ein wunderbares Novum für uns, das unserer Idealvorstellung von etwa mehr „Intergenerationalität“ näher kam.
Unser Konzept in Stichpunkten:
– Unterbringung vorzugsweise bei privaten Gastgeber*innen
– Aufenthalte mit viel Bewegung (z.B. Rundgänge, Wanderungen, Radfahren) an der frischen Luft
– gemeinsame/interaktive Spiele und Tätigkeiten: Quiz, Rallyes, Kochen u.ä.
– Ausflüge/Aktivitäten in parallelen Kleingruppen mit Wahlmöglichkeit laut Programm
– Stadt(teil)spaziergänge und thematische Rundgänge von Teilnehmer*innen aus den eigenen Reihen
– Gruppenzusammensetzung immer deutsch und französisch
– kleine Zeiträume im Tagesablauf für selbstbestimmte Vorhaben der Gäste
– erklärtes Ziel: ein intergenerationeller Teilnehmerkreis
– Kenntnisse der französischen bzw. der deutschen Sprache sind wünschenswert
– seitens der Organisatoren nur Buchungen mit kurzfristiger Storno-Möglichkeit
Statements aus dem Kreis der Teilnehmer*innen:
„Ce voyage m’a donné envie d’étudier en Allemagne grâce au magnifique environnement.“
Sarah Bouraïna, 15 Jahre
„Pour ma part, j’ai beaucoup apprécié la gentillesse et la disponibilité des Hanovriens de l’Ibhr qui ont permis de rendre ce séjour encore plus enrichissant, au niveau humain, culturel et de l’apprentissage de la langue allemande. J’ai aussi beaucoup aimé la diversité du programme proposé: des temps conviviaux, des temps de mémoire, des temps bien ancrés dans notre présent (Mairie et Parlement)“
Claire-Marie Couette (Mutter von Sarah Bouraïna)
Bonjour l‘ IBHR,
„J’ai beaucoup apprécié les séquences courtes dans l’agglomération de Hanovre, le choix des options et le temps libre pour la récupération et la flânerie personnelle. Toujours autant de bonheur à séjourner chez vous et à me projeter dans des rencontres futures.
Meine freundschaften an alle“
Alain Faloise
„Le meilleur séjour à Hanovre dans le cadre du jumelage ! J’ai apprécié le programme varié, le choix des différentes possibilités d’excursions, les déplacements en véhicule individuel, le beau temps et la gentillesse de nos hôtes et correspondants. Pour une prochaine fois, j’aimerais aussi faire un peu de tourisme économique, visite d’entreprises emblématiques de Hanovre et alentours (sites de production) : Pelikan, Bahlsen, VW…“
Carole Angenot
„Das so lange erhoffte Wiedersehen war noch schöner als erwartet. Wie immer haben uns unsere deutsche Freunde sehr freundlich empfangen. Es gab Momente voller Freude: den Empfang für das erste gemeinsame Mittagessen mit dem französischen Lied Aux champs Élysées, dem Boule-Spiel, dem Empfang im Rathaus mit den sehr leckeren Kuchen, dem Empfang im Landtag. Andere Momente ließen den Emotionen Platz. Insgesamt kamen die Franzosen voller schöne Erinnerungen nach Hause. Wir haben es alle eilig, euch nächstes Jahr in Rouen wiederzusehen.“
Kristell Gilbert
„Ich nutze gern diese Gelegenheit, wieder in die französische Sprache einzutauchen – und war angenehm überrascht, mit welch’ liebenswürdiger, freundlicher Aufgeschlossenheit und Zugewandtheit diese neue Gruppe mir vor allem diesmal entgegengekommen ist“
Christian Josten
„Durch die kleinen Gruppen ist man sich viel näher gekommen – hautnah erlebte deutsch-französische
Freundschaft. Bei den Führungen hat man die eigene Stadt ganz neu mit „blau-weiß-roter Sichtweise“
wahrgenommen. Ein tolles Treffen, mit einem Feuerwerk an neuen Freundschaften.“
Heiner Gudehus
„Ich fand die Woche mit all ihren Aspekten sehr interessant. Besonders nachdenklich hat mich die Wichtigkeit solcher internationalen Begegnungen in Bezug auf den Weltfrieden gebracht. Als Herr Toepffer sagte, dass er noch nie eine russische Gruppe im Landtag gesehen hat. Gut haben mir auch die Unternehmungen in kleinen Gruppen gefallen. Da kommt man doch viel eher ins Gespräch.“
Hannemie Süllow
Das Rahmenprogramm hatte das IBHR-Team mit den Kooperationspartner*innen in Rouen mit längerem Vorlauf abgestimmt: gemeinsames Ostermenü, Empfang bei Oberbürgermeister Belit Onay im Rathaus, Besuch der Gedenkstätte Ahlem, Boule-Turnier mit Barbecue, Besichtigung des Landtages wie auch ein festliches Abschiedsessen. Alle weiteren Programmelemente wie Ausflüge per Privat-PKWs oder per Bahn, Stadt(teil)spaziergänge und thematische Führungen waren „mehrgleisig“ konzipiert, d.h. zeitgleich/parallel für mehrere kleine Gruppen – mit der Möglichkeit zur Auswahl.
Schaffen wir das? fragte sich das derzeit fast nur zu dritt aktive IBHR-Team? Denn ein so vielfältige Programm braucht viele helfende Hände. Gesagt – getan: Das IBHR-Team hat alle Gastgeber*innen und Interessierte eingeladen, um eine aktive Mitbeteiligung und Ausgestaltung des Programms zu erörtern. In Windeseile, nach zwei gemeinsamen „Küchentisch-Sitzungen“ hatten alle Teilnehmer*innen aus diesem neuen Arbeitskreis beherzt das eine oder andere Projekt übernommen und selbst ausgestaltet. Die Programmbetreuung hatte sich somit auf viele Schultern verteilt – und es hat geklappt! Eine ganz neue Erfahrung für das kleine IBHR-Team, wie die hannoverschen Teilnehmer*innen – fast alle auch gleichzeitig Gastgeber*innen – so aktiv an der Programmgestaltung und Ausführung Anteil hatten und darüber hinaus mit weiteren persönlichen Beiträgen überraschten.
Und dann ging es los: Der Bus mit unseren Gäste kam am Ostersonntag abends vor dem Rathaus an – und die Gastgeber*innen standen alle bereit, ihren Gast gleich in Empfang zu nehmen. Nach den ersten Rundgängen durch Linden am Ostermontag gab eine Überraschung auf dem Pariser Platz: Musik unter freiem Himmel mit Akkordeon und Saxophon … französische Melodien mit dabei. Die Szene schien wie aus dem Hut gezaubert: strahlender Sonnenschein, die Bäume zeigten ihr erstes Grün. Dazu gab es Schampus für alle … spontane Begeisterung beim Mitsingen … und sogar Zaungäste genossen die Szene. Ein wunderbarer Auftakt. Einige Rätsel während des Mittagessens mit deutschen und französischen Sprüchen zur Bedeutung des Essen in unseren Ländern, die sich in der jeweiligen Sprache manifestiert haben, ergänzten die Tischgespräche.
Gewiss, jeder von uns im Arbeitskreis hat sich auf seine Aufgaben vorbereitet, wie z.B. zur Stadtgeschichte, Architektur (die Profi-Ausnahme aus eigenen Reihen), Kunst und Kultur – und auch zu den diesjährigen Leitthemen „Erinnerungskultur“ und „Klimawandel“
immer wieder Bezüge herzustellen. Es war eine ermutigende Erfahrung für uns, mit unserem mehr oder weniger gut erlernten Französisch nur mit jeweils einer kleinen Gruppe entspannt kommunizieren zu können, als vor sehr vielen Menschen sprechen zu müssen. Und es mußte gar nicht so perfekt sein wie bei einem Profi. Dafür wahren die Führungen mit viel Herzblut zusammengestellt. Das Porträt unserer Stadt bekam damit sicherlich auch einen persönlichen Touch – und die Gruppen waren klein genug, die Touren manchmal individuell abzustimmen oder noch für einen gemeinsamen Kaffee Zeit zu haben. Außerdem hat das stets sonnige Wetter zur guten Stimmung aller Teilnehmenden beigetragen – zumal sich die meisten Aktivitäten im Freien abspielten.
Außerordentlich gefreut hat uns bei dieser Begegnung, dass fast alle Teilnehmer*innen aus Rouen Deutsch sprachen – manche beneidenswert perfekt, andere waren Teilnehmer*innen an Deutschkursen, die von der Partnerorganisation in Rouen angeboten werden – also ein Hauch von Klassenfahrt und Sprachreise durch alle Altersklassen! Es war so spannend, wie sich alle in der jeweils anderen Sprache auszudrücken suchten – wie gut Kommunikation klappen kann! Lediglich für die größeren, offiziellen Programmpunkte oder wichtigen Ansagen wurden gedolmetscht, meist aus den eigenen Reihen von zwei versierten Französinnen.
Ausflüge führten die Gäste zur Marienburg, in die Autostadt Wolfsburg – wie auch nach Bergen-Belsen. Diese Gedenkstätte fand das stärkste Interesse – auch bei den jugendlichen Teilnehmerinnen, denn das Tagebuch der Anne Frank gehört auch in Rouen zum Lehrplan.
Ein Empfang bei Oberbürgermeister Belit Onay im Neuen Rathaus mit Plaudereien bei Kaffee und Kuchen im Mosaiksaal hat die Tradition wie auch die heutige Bedeutung unserer Bürgerbegegnung im Rahmen der Städtepartnerschaft betont. Eine Führung durch den Niedersächsischen Landtag hat uns die unterschiedlichen Regierungsgepflogenheiten unserer Länder vor Augen geführt. Besondere Beachtung fand der sogenannte „Hammelsprung“, eine spezielle Form der Stimmabgabe der Abgeordneten, dies schien – aus der Namenshistorie erklärt – ein amüsantes Novum.
Als Resümee lässt sich für uns als IBHR-Team mit besonderer Freude feststellen, dass die Mehrzahl der französischen Gäste wie auch der Hannoveraner*innen zum ersten Mal an dieser Begegnung teilgenommen hat. Wir deuten dies als Anzeichen, dass städtepartnerschaftliche Begegnungen inzwischen wieder eine neue Wertigkeit erfahren. Und gerade im Hinblick darauf, dass die IBHR eine intergenerationelle Zusammensetzung der Teilnehmer*innen anstrebt, war unsere Freude groß, dass auch zwei Familien mit jugendlichen Kindern mit von der Partie waren. Das Alter der Teilnehmer*innen bewegte sich zwischen 12 Jahren bis 70+.
Als weiteres Novum stellte sich heraus, dass fast alle teilnehmenden Personen Kenntnisse der jeweiligen Fremdsprache hatten. Dies erleichtert die Kommunikation erheblich, trainiert die Fremdsprachenkenntnisse und wirkt sich wohltuend auf die Stimmung aus.
Die Aufteilung in Kleingruppen hat sich sehr gut bewährt und ermutigt uns Hannoveraner*innen zusätzlich, unser nicht immer fehlerfreies Französisch beherzt anzuwenden; das fällt im kleinen Rahmen leichter. Außerdem konnte man in solchen Kleingruppen eher den eigenen Bezug zu Besichtigungsorten erwähnen, was ein persönlicheres Bild unserer Stadt widerspiegelt. Alles in allem sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass Unternehmungen in Kleingruppen mit persönlicher Begleitung und Betreuung aus den eigenen Reihen für alle Beteiligten gewinnbringend sind und allen Freude bereiten. Die organisatorischen und inhaltlichen Aufgaben sind hierbei auf verschiedene Schultern verteilt, jeder fühlt sich stärker eingebunden und für das Gelingen mitverantwortlich. Die gastgebende Rolle wird so von der gesamten hannoverschen Gruppe intensiver empfunden.
Die Entscheidung für Privatquartiere hat sich enorm positiv ausgewirkt – auch wenn es mit privatem Mehraufwand verbunden war. Vielleicht entwickelt sich daraus die eine oder andere dauerhafte Freundschaft. Außerdem ermöglicht dieses Angebot auch Menschen mit begrenztem Budget die Teilnahme.
An den so aktiven neuen Arbeitskreis und die Gastgeber*innen (oft in einer Person) an dieser Stelle vom IBHR-Team ein großes Dankeschön. So spontan mit Kreativität, Verantwortungsgefühl, Sachverstand und Offenheit in dieses Projekt einzusteigen, empfanden wir als IBHR-Team begeisternd, verbunden mit der Überzeugung, auf einem guten Weg zu sein. Ohne Euch wäre alles so nicht möglich gewesen! Ebenso gilt der Landeshauptstadt Hannover unser Dank für die große Unterstützung und die gute Zusammenarbeit.
Hoffen wir also, bald wieder einmal an einem großen Küchen- oder Gartentischen gemeinsam plaudern zu können … und schon jetzt freuen wir uns auf ein Wiedersehen mit unseren französischen Freund*innen in Rouen im kommenden Jahr!
Das IBHR-Team
Gudrun – Barbara – Silvia